Installation mit Zeichnungen in drei historischen Glasvitrinen, ein Video und je ein Objekt aus der geografischen und der geologischen Sammlung der Humboldt-Universität zu Berlin

13 Zeichnungen, Blei- und Buntstift auf Papier, unterschiedliche Formate, teilw. beidseitig bezeichnet, 2015

1 Zeichnung, Bleistift auf Betonplatte, 63 x 15 cm, 2015

1 Video Full Hd, ohne Ton, 7min, 2015. Animation: Beat Brogle. Basierend auf Folianten Conrad Gesners „Historiae animalium“ (Geschichte der Tiere) aus dem 16. Jh. im Museum für Naturkunde in Berlin

Sammlungsobjekte:

1 Faksimile (1890) einer Portolankarte (1439) von Gabriel de Valsequa, 56 x 37 cm

1 Lehrmodell eines Faltenstranges nach Cloos (um 1930), Gips, 29,0 x 7,0 x 36,0 cm

Für die Gruppenausstellung „On the Edge“ im Tieranatomischen Theater in Berlin wurde Nicole Schuck eingeladen, eine Arbeit im Dialog mit selbst gewählten Objekten aus den wissenschaftlichen Sammlungen Berlins zu konzipieren. Der Titel ihrer Installation „Scheußlich schöne Wissenschaft“ bezieht sich auf Conrad Gesners „Historiae animalium“, ein gemeinhin als Beginn der modernen Zoologie angesehenes Werk. Hierin werden Tiere aufs Genaueste beschrieben und wie sie am besten zu nutzen sind – auch in medizinischer Hinsicht. Bedeutend an Gesners Studien ist, dass sie Einblick in eine Zeit gewähren, in der Mythologie und Wissenschaft, Imagination und akribische Beobachtung als gleichwertige Erkenntnisquellen behandelt wurden. Die Überlappung dieser unterschiedlichen Bereiche beschäftigt Schuck seit Jahren. Die grundlegende Idee ihrer Arbeit ist es, Erkenntnisse aus einer Verbindung von Kunst, Wissenschaft, Geschichten, Erfindungskraft und Beobachtung, Zufällen und Fehlern zu ziehen und mit diesem Wissenskonglomerat über unsere Umwelt den gemeinsamen Lebensraum zu visualisieren und für ihn zu sensibilisieren.

In der ersten Vitrine (ca. 210 cm x 300 cm x 70 cm) hängt frei die große beidseitig bezeichnete Zeichnung „Speculari“ (200 x 240 cm). Auf der einen Seite sind die Küstenlinien Europas zu sehen. Landschaftsmerkmale werden durch die jeweilige Fauna verkörpert wie etwa der Höhenzug der Pyrenäen mittels detaillierter Steinmarderfell- und Körperfragmente, das Adriatische Meer durch den Seeteufel, der wiederum in ein Insekt übergeht. Ein ausgedehnter Vogelzug überfliegt die gesamte Szenerie. Perspektiven und Proportionen kippen und verschieben sich auf dieser Europakarte.

Die andere Seite der Zeichnung zeigt die Weltkarte. Schatten von ausgewählten Tieren einzelner Länder fließen mit Strömen zahlreicher Linien zusammen. Die Ströme verweisen einerseits auf das Ziehen von Tieren zu bestimmten Jahreszeiten oder aufgrund sich verändernder Lebensbedingungen und anderseits auf Finanzströme. Die Karte spielt auf das Konzept von „Natur-Kapital“ an, bei dem es um die weltweiten Zusammenhänge von Ökonomie und Fauna geht. Für Ökosysteme und bestimmte Wildtierarten werden monetäre Werte festgesetzt und damit Handel betrieben. Biobanken entwickeln Natur-Finanzprodukte um damit zu spekulieren.

In der zweiten Vitrine (ca. 210 cm x 255 cm x 70 cm) sind verschiedenformatige Zeichnungen direkt auf dem Vitrinenglas fixiert. Sie zeigen Tiere der Tiefsee oder sind auf deren Augenpartien fokussiert. Aus dem Meer kommt alles Leben und die Welt der Tiefsee ist größtenteils noch völlig unbekannt. Auf der Rückseite einzelner Arbeiten befinden sich Codes zur Identifizierung des jeweiligen Tieres. Auf einer öffentlichen Datenbank im Internet können diese Codes abgerufen werden. Sie beinhalten genetische Informationen zu den Tieren, auch deren DNA, sodass die Archivierung der Daten die wissenschaftliche Forschung erleichtert. Zudem sind zwei gezeichnete Kartografien bestimmter Landschaften in der Schweiz und in Brandenburg mittels der dort beheimateten Wildtiere fragmentarisch zu sehen. Eine davon befindet sich auf einer Betonplatte auf dem Boden liegend. Das Sammlungsobjekt, das Faltenmodell von Hans Cloos, bildet das Ergebnis eines geologischen „Verbiegens“ der Erdkruste nach. Geomorphologisch wird der Faltenstrang als Höhenzug bzw. Höhenrücken (Gebirge) wahrgenommen. Mit seiner Oberfläche ähnelt er der Struktur eines Tierkörpers und gleichermaßen der einer Landschaft.

Die dritte Vitrine (ca. 210 cm x 255 cm x 70 cm) beinhaltet eine weitere Zeichnung mit einer imaginierten Landschaft mit Höhenrücken, Kratern, Straßen und Feldern. Sie ist ebenfalls direkt auf dem Glas der Vitrine fixiert und wird von dem in der Vitrine frei hängenden Faksimile (1890) nach der Portolandkarte (1439) von Gabriel de Valsequa (1408–1467) flankiert. Das gerahmte Faksimile zeigt, dass die damalige Kartografie Städte, Gebirgszüge, Flüsse, Tiere und Menschen – etwa Händler, die auf der Seidenstraße entlang reiten – gleichwertig einbezogen hat. Bis heute gibt die Karte Fachleuten noch viele Rätsel auf.

In dem auf die Wand projizierten Video „Von Thieren auff der erde und in wasseren ir wonung habend“ werden 13 Kreaturen aus sechs verschiedenen Folianten von Conrad Gesners Historiae animalium (1551–1670) aus dem Museum für Naturkunde in Berlin vorgestellt. Die Holzschnitte der Wesen für die verschiedenen Ausgaben weichen oft voneinander ab, was besonders in der Mimik der Tiere deutlich wird. Diese Veränderungen werden durch Überlagerungen der Bilder ein und desselben Tieres visualisiert und hinterfragen, inwiefern die Übertragung von Wissen durch visuelle Mittel zu unserem sich wandelnden Verständnis der Welt beiträgt. Alle Arbeiten der Installation beziehen sich aufeinander, so auch die Sammlungsobjekte auf die Zeichnungen und umgekehrt.

Im Austausch mit der Bibliothek des Museums für Naturkunde in Berlin und dem Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin.

 

Fotos: Beat Brogle, Thomas Bruns